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Interview mit Wolfgang Tiefensee: Wirtschaft und Digitalisierung in Thüringen

In unserer Interviewreihe #TecArtTrifft sitzen wir für Sie gemeinsam mit Politikern, Entscheidern und Meinungsmachern aus Thüringen an einem Tisch. Wir wollen aus verschiedenen Perspektiven wissen, was Sie als regionale Unternehmer beschäftigt und was getan werden muss, damit Sie sich im Wettbewerb mit nationalen und internationalen Unternehmen verbessern.

Das Leitthema heißt: Start-Ups vs. traditioneller Mittelstand/USA vs. DE - Was können Thüringens Unternehmer und Politik tun, um Angriffen junger größtenteils internationaler Unternehmen im Zeitalter der Digitalisierung entgegenzuwirken? Die Geschäftsführer der TecArt GmbH, Thomas und Christian Fischer haben bei dem Thüringer Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft, Wolfgang Tiefensee, nachgefragt.

tiefensee-cftf Zu Gast bei Wolfgang Tiefensee, die TecArt Geschäftsführer Christian und Thomas Fischer

Keine Branche hat sich in den letzten Jahren so rasant entwickelt wie die IT-Branche. Was heute neu ist, kann morgen schon wieder alt sein. Immer mehr Start-Ups, vor allem aus den USA, schießen aus dem Boden und machen sich die stetig von Dynamik und Weiterentwicklung geprägte Digitalisierung zu Nutze, um neue Unternehmenskonzepte zu entwickeln. Im Gros wird von „disruptiven Innovationen“ gesprochen, die langjährig etablierte Geschäftsmodelle angreifen. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie eines Bankinstitutes ist die Thüringer Wirtschaft fast Schlusslicht bei der Digitalisierung, nutzen doch nur 9% der Unternehmen ab 2,5 Mio € Jahresumsatz konsequent die Chancen der modernen Informationstechnik.

Quelle: Zusammenfassung der Studie zur Digitaliserung in Thüringen bei MDR

Thomas Fischer: Wie ist ihre Einschätzung zum Start-Up-Boom in der Informationstechnologie? Sind diese Konzepte langfristig auf der Erfolgsspur oder sind sie so schnell weg, wie sie gekommen sind?

Wolfgang Tiefensee: Mit Blick auf die IT-Blase, die vor einiger Zeit geplatzt ist, muss die Antwort natürlich vorsichtig ausfallen. Ich denke, dass wir mittlerweile aus dieser Phase gelernt haben, dass sowohl Start-Ups, wie auch finanzierende Unternehmen und Gesellschafter sowie Politik etwas vorsichtiger geworden sind. Es wird genauer geschaut, was sich entwickelt. Aber insgesamt ist mein Eindruck, aus Thüringer Sicht und mit Blick auf Thüringer Unternehmen, dass wir es hier mit sehr solide aufgestellten Gründern zu tun haben, die bevor sie investieren, sowohl in Programmierung als auch in Hardware, den Markt sehr genau analysieren, Wettbewerber identifizieren und dann Produkte anbieten, die offensichtlich relativ schnell eine breite Anzahl von Abnehmern erreichen. Meine Einschätzung ist, nicht nur die Konzepte sind langfristig angelegt, sondern auch das Investment, was damit zusammenhängt – ein organisches Wachsen, das nicht überhastet ist und demzufolge auch die Gewähr dafür bietet, nicht so schnell vom Markt zu verschwinden.

Christian Fischer: Sehen Sie in dieser Belebung des Wettbewerbs eher eine Gefahr oder eine Chance für die klein- und mittelständischen Unternehmen in Thüringen?

Wolfgang Tiefensee: Wir haben es in Thüringen bei den Klein- und Mittelständlern oftmals mit Unternehmen zu tun, die in die gesamtheitliche Wertschöpfungskette eingebunden sind und dementsprechend sehr stark vom Auftraggeber abhängig sind. Deshalb sind diese in der Produktion und in der Entwicklung neuer Produktionstechnologien/-systeme oder Geschäftsmodelle eher gehemmt. Die etablierten IT-Unternehmen haben ihre Märkte gefunden und bieten ihre Produkte auf Geschäftsfeldern an, die ihre Kundschaft finden. Ich sehe Start-Ups auf Feldern, die neu sind bzw. die neu zu besetzen sind. Aber selbstverständlich belebt der Eintritt von Start-Ups in den Markt den Wettbewerb und fordert die langjährig am Markt agierenden Unternehmer heraus, Schritt zu halten und sich weiterzuentwickeln. Das Interessante ist, dass es eine Verbindung zwischen Gründern und langjährig erfolgreichen Unternehmen gibt. Man kooperiert viel und manchmal werden Ideen gekauft, um das eigene Unternehmen wieder zu befruchten. Es gibt also sowohl eine Kooperationen, einen Austausch als auch einen sehr regen Wettbewerb, der eigentlich alle voran bringt. Es ist zusammengefasst klar als eine Chance zu betrachten. Eine Gefahr besteht eigentlich nur, wenn mit unlauteren Mitteln agiert wird, d.h. die eigene Marktstärke, Finanzkraft oder die langjährige Erfahrung ausgenutzt wird, um andere Unternehmen unbotmäßig vom Markt zu drängen. Das sehe ich in Thüringen aber nicht.

Christian Fischer: Halten Sie es für möglich, dass diese Start-Ups dauerhaft viele Arbeitsplätze schaffen, wie der etablierte Mittelstand?

Wolfgang Tiefensee: Zunächst erst einmal nicht. Ein Start-Up wird im ersten Jahr nicht von 1 auf 100 Arbeitsplätze aufstocken, es sei denn es handelt sich um eine außergewöhnliche Idee. Das geht sehr organisch nach oben, sehr klug und ausgewogen. Insgesamt findet ein Aufwuchs von Arbeitsplätzen statt. Und das bringt die nächste Herausforderung. Wir suchen händeringend nach Fachkräften, die diese Arbeitsplätze besetzen und das ist eine Anforderung, nicht zuletzt an die Universitäten, aber auch an jene Verantwortlichen, die das gesamte Umfeld organisieren. Ich freue mich über jeden neuen Arbeitsplatz in Thüringen, um das Wohlstandniveau zu heben, die Arbeitslosigkeit zu senken und Wertschöpfung zu generieren. Aber wir müssen alle miteinander agieren, da ist nicht nur die Politik gefragt. Auch die Unternehmen müssen dafür sorgen, attraktive Arbeitsplätze, gute Rahmenbedingungen und faire Löhne zu schaffen, Universitäten durch gut ausgebildete Studierende, der Wissenschaftsminister durch die Finanzierung zusätzlicher Lehrstühle, was auch getan wird zusammen mit der Wirtschaft, so dass wir genug Fachkräfte haben und generieren.

Thomas Fischer: Was muss aus politischer Sicht noch getan werden, um schnellstmöglich Anschluss an den Wettbewerb zu finden?

Wolfgang Tiefensee: Zunächst müssen wir den Wettbewerb charakterisieren. Die Amerikaner sagen nicht Wirtschaft 4.0 oder Industrie 4.0 sondern Internet of Things, mit der Erkenntnis, dass sie viel Internet haben, aber wenig Things. Wir stehen im Wettbewerb im Kreieren neuer Geschäftsmodelle, also IT-basierte neue „Produkte“. Da können wir nur mithalten, wenn wir sehr gut ausgebildete Fachkräfte haben, pfiffige Ideen, weiße Flecken besetzen und vor allem – Stichwort Wagniskapital – Unternehmen finden, die trotz der Negativerfahrungen Anfang der 2000er weiterhin auf die IT-Branche setzen. Unser Vorteil und zugleich unsere Herausforderung ist es, dass wir eine Innovation der Innovation brauchen, d.h. wie kann Innovation von Produkten in Verbindung mit IT und in Verbindung mit Geschäftsmodellen stattfinden. Hier kann eine klassische Industrienation aus dem 19. Jhd. fortgeschritten und modernisiert, Erfahrungen einbringen, die wir brauchen, um den Wettbewerb auf einem ganz anderen Feld zu gewinnen, nämlich Produkte, Produktionssysteme, Produktionsprozesse innovativer zu machen. Dazu braucht es eine ideale Verbindung zwischen den „Things“ und der IT. Das müssen wir befördern mit unseren Kompetenzzentren, den Inkubatoren, mit den Forschungsverbünden und den Netzwerken, die sich gebildet haben. An dieser Stelle auch ein Lob an das IT-Net Thüringen . Es ist eben nicht nur so, dass man sich in der Branche ausschließlich horizontal vernetzt. Es wird gezielt der Austausch mit anderen Branchen gesucht. Die IT-Branche muss die Augen und Ohren immer offen halten, was passiert im Energiesektor, was passiert bei der Mobilität, Mobilitätskonzepte, aber auch wie wandelt sich bspw. die Automobil- oder Kunststoffindustrie, die Sensorik, der Maschinenbau etc. Was hier in Thüringen vorhanden ist, muss sich mit der IT vernetzen. Und wenn wir das befördern und das tut die Politik nicht zuletzt mit Fördergeldern, wie auch die Wirtschaft selbst, dann gewinnen wir diesen Wettbewerb als Industrienation, die sich neu aufstellt in Zeiten des Internet of Things.

Thomas Fischer: Ergänzend dazu kann man ja die RIS 3 sehen.

Wolfgang Tiefensee: Genau. Die Kompetenzzentren, die regionale Innovationsstrategie, die Digitalisierungsstrategie, alles das spielt bei meinen vorherigen Ausführungen eine Rolle.

Thomas Fischer: Bei diesen Punkten merken wir auch, wie der Markt reagiert. Es gibt Leute, die kritisch sind und sagen, bei uns gibt es das alles schon. Diese engagieren sich dann zumeist auch nicht. Dann gibt es jene, die wenig tun aber erwarten, dass etwas passiert. Auf der anderen Seite haben Leute, die wirklich etwas bewegen wollen und den ganzen neuen Dingen offen gegenüber stehen, mit der RIS 3 gute Voraussetzungen, auch tatsächlich etwas zu bewegen. Daher halte ich es für wichtig, dass man Akteure, die mit Leidenschaft hinter der Digitalisierung stehen, noch viel näher zusammenbringt.

Wolfgang Tiefensee: Voraussetzung ist, dass die Telekommunikationsunternehmen die Infrastruktur schaffen, sprich Glasfaser und Breitband. Die öffentliche Hand muss hier deutlich mehr Gelder bereitstellen, um den Ausbau voranzutreiben. Wir sind im Wettbewerb, was die Infrastruktur anbetrifft, in Deutschland ganz und gar nicht optimal aufgestellt. Wir rangieren im weltweiten Vergleich auf Platz 26. Und das muss sich ändern, wir müssen hier zwingend zulegen. Ich habe kürzlich einen Artikel von Sascha Lobo gelesen, der diese langsame Entwicklung darin begründet, dass die Politik zumeist aus älteren Herrschaften besteht. Die Jungen, die eine andere Sicht auf das Internet haben und darin fast eine Heimat sehen, können sich bisher nicht entscheidend durchsetzen. Ich sehe es trotz meines Alters auch so, dass wir hier absolute Prioritäten setzen müssen, wollen wir nicht im Wettbewerb zurück zu fallen.

Digitalisierung ist nach wie vor in aller Munde und das große Thema der Stunde. Deutsche IT-Unternehmen und Softwarehersteller bieten bereits umfangreiche Lösungen, Unternehmen und die darin verwurzelten Prozesse digital abzubilden sowie deutlich zu vereinfachen, den Kundennutzen spürbar zu erhöhen sowie die Kommunikation im Unternehmen zu verbessern. Auf der einen Seite stehen Mittel und Wege der Digitalisierung zur Verfügung, auf der anderen Seite sind die Umfragewerte doch sehr ernüchternd. Deutschen Unternehmen wird nachgesagt, sie sind zu langsam, zu unflexibel und in alten Denkweisen verhaftet – Unternehmer wie auch Angestellte.

Christian Fischer: Sind die Unternehmer in Thüringen zu unflexibel oder gar ängstlich vor den Folgen eines digitalen Umbruches?

Wolfgang Tiefensee: Ich denke, in der letzten Zeit hat sich das Thema Digitalisierung nicht nur herumgesprochen, sondern ist auch in sämtlichen Unternehmen in unterschiedlicher Qualität angekommen. So gilt es, den Prozess Digitalisierung, wir sprechen hier von der Wirtschaft, wobei das auch die Mobilität, die Energie, die Verwaltungen etc. betrifft, anzuschieben, zu flankieren und zu befördern. Dabei müssen wir wissen, dass die Ausgangssituation insofern schwierig ist, als dass viele Unternehmen, wie bereits erwähnt, in die Wertschöpfungskette eingebunden sind. Sie stehen also oft nicht für sich alleine und können mal eben innovativ werden und neue Produkte mit neuen Geschäftsmodellen entwickeln. An dieser Stelle müssen wir unterstützen und das machen wir mit unseren Kompetenzzentren. Wir gehen in verschiedene Branchen und bringen Unternehmer in Fabs, wo sie sehen, was innovativ möglich ist. Zudem müssen wir uns mit dem Thema Datensicherheit auseinandersetzen, sprich Datenschutz in Richtung Personendaten, Patente oder Konstruktionszeichnungen und der Gleichen mehr. Viele Unternehmen, die den Weg der Digitalisierung gehen, müssen an dieser Stelle eine Barriere überwinden. Auch hier geht es darum, dass wir unterstützend zur Seite stehen, beraten, Digitalwerkstätten einrichten, um Transparenz für dieses Thema zu schaffen und im gleichen Atemzug deutlich zu machen, dass in den Unternehmen etwas passieren muss, da sonst ihre Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft stark gefährdet ist.

Christian Fischer: Wie können ortsansässige Unternehmen dazu beitragen, die neuen Möglichkeiten in die Gesellschaft zu tragen?

Wolfgang Tiefensee: Das ist eigentlich die gleiche Antwort. Wir müssen sie motivieren, sie in die Lage versetzen und die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Zu den Rahmenbedingungen gehört Breitband, dass wir über Arbeit 4.0 nachdenken, dass wir über Urheberschutz Bescheid wissen, dass wir Datensicherheit in den Mittelpunkt stellen, um Hemmnisse abzubauen, die auf dem Weg der Digitalisierung der Unternehmen immer noch vorhanden sind. Was die Motivation angeht, müssen wir beraten, aufschließen, das internationale Fenster öffnen und auch dem kleinsten Handwerks- oder Industriebetrieb zeigen, was sich auf der Welt abspielt. Denn auch diese sind in der Auftragsakquise plötzlich mit internationalen Wettbewerbern konfrontiert. Daher ist es wichtig, Thüringer Unternehmen einen Einblick zu bieten, wo und wie sie in dieser Wettbewerbssituation von außen im Internet und von der digitalen Gesellschaft wahrgenommen werden. Hier kann die Politik unterstützend zur Seite stehen, aber im Gros und an erster Stelle ist es die Aufgabe der entsprechenden Unternehmen, Verbände und Netzwerke selbst.

Thomas Fischer: Als praktisches Beispiel käme hier wieder RIS 3 zum Tragen, bei der sich Arbeitskreise aus verschiedenen Unternehmen bilden, um genau diese Themen auszuarbeiten…

Wolfgang Tiefensee: Das ist richtig. Aber es ist noch viel zu klein und es sind zu wenige Unternehmen. Wir wollen letztlich die Unternehmen erreichen, deren Bedenken nach wie vor bestehen. Und diese sitzen leider noch nicht an den Tischen bei RIS 3.

Thomas Fischer: Ja und dabei muss man sich die Frage stellen, wie aus diesem kleinen Kreis etwas Größeres werden kann und möglichst viele Unternehmen erreicht werden.

Wenn es nach Sigmar Gabriels Digital Agenda 2025 geht, sollen vor allem junge innovative Unternehmen, sprich Startups mit Wagniskapital ausgestattet werden. Allerdings basieren viele dieser Ideen auf einer Plattformökonomie. Schaut man sich die prominenten Vorzeigebeispiele Uber, Airbnb und Spotify an, entstehen allerdings rein virtuelle Produkte.

Quelle: Sigmar Gabriels Digital Agenda 2025

Christian Fischer: Kommt bei all dem Digitalisierungsaktionismus nicht der traditionelle Mittelstand im produzierenden und Dienstleistungsgewerbe zu kurz?

Wolfgang Tiefensee: Ich habe es bereits angesprochen. Ein zentraler Faktor ist das Internet of Things. Wer hat eigentlich beides, wir haben beides! Unsere Aufgabe ist es, den Mittelstand nicht etwa zu kurz kommen zu lassen, sondern diese Innovationen, diese enormen Chancen, die sich mit der Digitalisierung ergeben, auf den produzierenden Mittelstand zu übertragen und zu ermöglichen, dass der Mittelstand nicht nur reine Geschäftsmodelle zur Wertschöpfungssteigerung entwickelt. Er soll vielmehr seine Produkte, Prozesse, Geschäftsbeziehungen etc. mit den Möglichkeiten der Digitalisierung innovativer machen. Ich nenne das Beispiel der Plattform (Uber, Airbnb). Ein Schlüssel zur weiteren Entwicklung Thüringens könnte sein, dass wir Unternehmen horizontal in der Branche, aber eben auch vertikal in der Wertschöpfungskette zusammenführen und verbinden. WIr könnten sozusagen das Facebook der Unternehmen zu sein, um flexibel, schnell sowie kundenorientiert und dabei mit geringem finanziellem Aufwand durch temporäre Unternehmenszusammenschlüsse völlige neue Märkte zu erschließen. Hierbei kann Politik auch wieder unterstützen, siehe Regionale Innovationsstrategie oder die Calls, die wir zur Ideenfindung wie sich Unternehmen auf völlig neue Art und Weise vernetzen können, ausgerufen haben“.

Alle schauen beim Thema Digitalisierung nach Silicon Valley USA und seinem schier unerschöpflichen Potenzial an Investoren, Die meisten Produkte von dort werden hier gehyped und fluten den deutschen Markt. Viele Investitionsgelder im IT-Bereich fließen nach Übersee, Deutsche IT-Unternehmen und Softwarehersteller bieten gleiche und gar besser Leistungen/Lösungen an, sind aber bei Weitem nicht so bekannt und gehyped. Zudem bleiben Unternehmensdaten im Normalfall in Deutschland – Stichworte Datenschutz/-sicherheit/Wirtschaftsspionage

Thomas Fischer: Wie schätzen Sie den Einfluss von US-Konzernen auf den deutschen Markt ein?

Wolfgang Tiefensee: Zunächst einmal, natürlich sind die Amerikaner uns, was das Erstellen von Plattformen, das Nutzen der Digitalisierung, neuer Kommunikationsmöglichkeiten, Auswertung von Daten über Algorithmen und künstliche Intelligenz angeht, weit voraus. So das Beispiel e-Commerce. Die Idee und die ersten Modelle in Jena erfunden, aber wegen unserer starren Strukturen in Übersee zur Blüte gebracht. Damit wurde aus den USA eine Wertschöpfung generiert, die ihres Gleichen sucht. Das Andere ist, dass es offensichtlich ein Umfeld braucht, eine Atmosphäre, damit solche Ideen nicht nur entstehen, sondern auch zügig umgesetzt werden. Deshalb gibt es Silicon Valley und viele namhafte, große und mittlere Unternehmen, die ihre Dependancen an diesem Standort haben. Dazu kommt das Riesenthema Wagniskapital und die Accelerators, die einerseits Start-Ups mit ihren Ideen mit Kapitalgebern zusammenbringen und umgekehrt, die großen Player der Branchen, die aus ihren Anforderungen der Zukunft Aufgaben erstellen lassen, die Gründerunternehmen bearbeiten und innovativ lösen. Es ist ein Austausch, der in den USA auf eine ganz besondere Weise stattfindet. Daher ist Silicon Valley Benchmark. Der Einfluss ist in mehrfacher Hinsicht auf Deutschland zu spüren. Es gibt bereits viele unternehmerische und politische Maßnahmen die zeigen, dass auch wir Anschluss finden. Es gibt die Accelerator, die Wagniskapitalgeber, die Elevator Pitches und die Investor Days in Thüringen und Deutschland. Start-Ups haben ideale Möglichkeiten, sich hier relativ unkompliziert über Zuschüsse, Darlehen oder eine Kombination aus diesen zu finanzieren. So wird der Abstand, den wir zwischen den USA und Deutschland, vor allem Thüringen sehen, hoffentlich kleiner. Aber es wäre nicht von Vorteil, wenn wir uns abschotten. Die Frage daraus, wie können wir diesen sogenannten Braindrain (Abwanderung von hochqualifizierten Fachkräften) sowie Capital Drain (Kapital, das in andere Länder fließt) minimieren und Urheberrechte schützen? Das wäre realisierbar über starke gesetzliche Rahmenbedingungen und dadurch, dass wir einfach besser werden. „Brain“ entsteht dort, wo ein Gefälle ist. Und es wurde auch indirekt die Bekanntheit angesprochen. Das ist tatsächlich ein Thema. Wer weiß denn, dass es Produkte gibt, im digitalen Verwaltungsbereich bspw. TecArt, Scanner für den Personalausweis und vieles andere mehr im IT-Bereich oder e-Commerce, die in ihrer Qualität an die Großen heranreichen. Das müssen wir in der Tat bekannter machen. Hinzu kommt die Thüringer Eigenschaft, dass man sich mit dem eigenen Können, mit den eigenen Produkten dezent im Hintergrund hält und glaubt, Qualität werde sich schon irgendwie durchsetzen. Deshalb sind wir unterwegs auf Messen, versuchen Kontakte zwischen Universitäten und Unternehmen zu knüpfen. Das müssen wir weiter intensivieren.

Thomas Fischer: Es darf dabei jedoch nicht passieren, dass Innovationen aus Thüringen einfach verschwinden. Wir hatten das Paradebeispiel erst kürzlich, bei dem ein Thüringer Start-Up von Facebook aufgekauft wurde. Eine Innovation, die aus einer Kooperation der TU Ilmenau und einer guten Unternehmensgründerin entstand, ist im Endeffekt einfach weg. Das ist eben schade. Sicherlich haben die Gründer und Entwickler das entsprechende Kapital erhalten aber die Technologie verschwindet möglicherweise in der Schublade. Und da ist die Frage, was man zukünftig dafür tut, dass auch das Land Thüringen etwas davon hat.

Wolfgang Tiefensee: Deutschland muss eine flächendeckende Breitband-Infrastruktur schaffen. Deutschland muss ein unternehmer- und gründerfreundliches Klima haben. Das ist aktuell ganz gut, aber nicht gut genug. Wir müssen die Fachkräfte ausbilden, so dass einer, der eine unternehmerische Idee hat, sie nicht nur bzgl. Förderungen finanziell unterstützt bekommt, sondern auch die Fachkräfte, mit denen er expandieren kann. Und dieses Umfeld zu langsam. Ich habe aber den Eindruck aus den letzten zwei Jahren, dass die Diskussionen über Innovationen, Wagniskapital, Accelerators, Unternehmensplattformen, also die kooperative Wertschöpfung, in Thüringen an Fahrt gewinnen. Unternehmensnetzwerke und Veranstaltungen zum Thema Digitalisierung erfreuen sich größer werdender Resonanz. Wir kommen voran und wie sagt der Physiker, Geschwindigkeit ist das Eine, Beschleunigung das Andere. Jetzt müssen wir mehr beschleunigen, dann halten wir die Ideen und Innovationen auch hier und werden es nicht mehr erleben, dass gute Produkte und Firmen entstehen, welche letztlich aufgekauft werden, um sie entweder vom Markt verschwinden zu lassen oder auszunutzen.

Die TecArt GmbH bedankt sich recht herzlich beim Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft und Wolfgang Tiefensee für die umfangreiche Organisation im Vorfeld und das sehr interessante Interview.