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Thomas L. Kemmerich im Interview zum Thema Wirtschaft und Digitalisierung in Thüringen

In unserer Interviewreihe #TecArtTrifft setzen wir uns für Sie gemeinsam an einen Tisch mit Politikern, Entscheidern und Meinungsmachern in Thüringen. Wir wollen aus verschiedenen Perspektiven wissen, was Sie als regionale Unternehmer beschäftigt und was getan werden kann, um sich im Wettbewerb mit nationalen und internationalen Unternehmen weiter zu verbessern.

Das Leitthema: Start-Ups vs. traditioneller Mittelstand/USA vs. DE – Was können Thüringens Unternehmer und Politik tun, um Angriffen junger größtenteils internationaler Unternehmen im Zeitalter der Digitalisierung entgegenzuhalten? Die Geschäftsführer der TecArt GmbH, Thomas und Christian Fischer haben bei dem Landesvorsitzenden der FDP Thüringen, Thomas L. Kemmerich, nachgefragt.

thomas-kemmerich-bei-tecarttrifft Zu Gast bei TecArt Thomas L. Kemmerich, Landesvorsitzender der FDP Thüringen

Keine Branche hat sich in den letzten Jahren so rasant entwickelt wie die IT-Branche. Was heute neu ist, kann morgen schon wieder alt sein. Immer mehr Start-Ups, vor allem aus den USA, schießen aus dem Boden und machen sich die stetig von Dynamik und Weiterentwicklung geprägte Digitalisierung zu Nutze, um neue Unternehmenskonzepte zu entwickeln. Im Gros wird von „disruptiven Innovationen“ gesprochen, die langjährig etablierte Geschäftsmodelle angreifen. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie eines Bankinstitutes ist die Thüringer Wirtschaft fast Schlusslicht bei der Digitalisierung, nutzen doch nur 9% der Unternehmen ab 2,5 Mio € Jahresumsatz konsequent die Chancen der modernen Informationstechnik.

Quelle: Zusammenfassung der Studie zur Digitaliserung in Thüringen bei MDR

Thomas Fischer: Wie ist ihre Einschätzung zum Start-Up-Boom in der Informationstechnologie? Sind diese Konzepte langfristig auf der Erfolgsspur oder sind sie so schnell weg, wie sie gekommen sind?

Thomas L. Kemmerich: Erst einmal herzlichen Dank für die Einladung. Natürlich wird sich nicht jedes Konzept durchsetzen. Auch hier werden wir, wie in anderen Branchen, einen naturgemäßen Selektionsprozess erleben. Wie schon in der Vergangenheit werden sich die besten Konzepte – das sind nicht die Größten, das sind die Schnellsten – die auf Langfristigkeit gestaltet sind, durchsetzen. Das soll an der Stelle keine Angst vorm Scheitern implizieren. Es gibt sicherlich schon viele Konzepte, die mit der heutigen Technologie standhalten, aber morgen keine Zukunft haben. Deshalb rechne ich Start-ups und Unternehmen, die sich regelmäßig selbst überprüfen, aktuelle Entwicklungen erkennen und für die Zukunft geschäftsfähig machen, langfristige Erfolgschancen aus.

Christian Fischer: Sehen Sie in dieser Belebung des Wettbewerbs eher eine Gefahr oder eine Chance für die klein- und mittelständischen Unternehmen in Thüringen?

Thomas L. Kemmerich: Generell muss man mehr die Chancen vor den Gefahren sehen. Es herrscht in Deutschland ein großer Trend im Bewahren bzw. Beharren. Mit „Es bleibt so wie es ist“ wird ein Mittel zur Wohlstandwahrung gesehen. Aber für die Wohlstandsmehrung bedarf es einen größeren Blick, gerade in Thüringen. Wir haben die Chance, ein Musterland der Digitalisierung zu werden, indem man eine tatsächliche Förderung dieser Konzepte auf den Weg bringt. In einem kleinen Land wie Thüringen ist eine digitale Struktur mit den besten verfügbaren Möglichkeiten leichter zu realisieren als in einem großen Gebiet. Das sollten wir nutzen und die Unternehmen, Unternehmer und Fachkräfte nach Thüringen einladen, ihre Chance hier zu suchen.

Thomas Fischer: Wo sehen Sie aktuell noch mehr Handlungsbedarf für das Land Thüringen und seiner Digitalisierungsstrategie? Sind wir gut aufgestellt oder müssen wir uns woanders hin entwickeln?

Thomas L. Kemmerich: Die Digitalisierungsstrategie ist in meinen Augen zu wenig ambitioniert. Wenn wir sagen, 2020 sollen flächendeckend 50 Mbit zur Verfügung stehen, dann klingt das heute gut. Aber 2020 ist die Entwicklung noch einen Schritt weiter. Wir sollten uns daher an den Besten der Welt orientieren, sprich Ländern wie Südkorea oder Estland. Wenn man bedenkt, wo diese in 2020 sein werden, möglicherweise bei 200 Mbit oder gar 5G-Technologie, ist die jetzige Zielstellung einfach zu niedrig. Ein Platz im Mittelfeld sollte nicht das Maß der Dinge sein. Zudem halte ich es für nicht sinnvoll, wenn die Regierung in Umsetzungsstrategien investiert. Das soll der Mittelstand, das sollen die Unternehmer und Unternehmen selbst tun. Ein kostenaufwendiges Kompetenzzentrum 4.0 in Ilmenau beispielsweise hilft den Firmen wenig bei der Umsetzung von Digitalisierungsprozessen. Die verfügbaren finanziellen Mittel sollten besser in den infrastrukturellen Ausbau der Datenautobahnen investiert werden. Das ist ambitioniert.

Christian Fischer: Das ist ein klares Kontra gegen das Kompetenzzentrum oder?

Thomas L. Kemmerich: Ja, es bringt nichts, sich für die Eröffnung einer solchen Einrichtung feiern zu lassen. Wichtiger ist es, Möglichkeiten auf den Weg zu bringen, welche die deutsche Wirtschaft, IT-Branche und die Zukunft im Vergleich zum Wettbewerb voranbringt. Wir müssen unseren Wohlstand wahren und da sind andere Länder viel viel schneller. Die werden keine Rücksicht nehmen auf Bewahrungs- bzw. Beharrungstendenzen in Deutschland und vor allem in Thüringen.*

Christian Fischer: Halten Sie es für möglich, dass diese Start-Ups dauerhaft viele Arbeitsplätze schaffen, wie der etablierte Mittelstand?

Thomas L. Kemmerich: Das ist sehr von Nöten. Wir brauchen einen klaren Weg in die Digitalisierung, nicht nur in der Wirtschaft sondern auch in der Verwaltung. Die ist fast unentdecktes Land, weil hier noch größere Beharrungstendenzen herrschen. Diese Chance müssen wir nutzen. Wenn wir einen Blick Richtung 2030 werfen, wird Deutschland 6 Mio. Arbeitnehmer weniger haben, in Thüringen spricht man von 200 – 250 Tsd. Das heißt, wir müssen über die Digitalisierung, über die Steigerung der Effizienz Möglichkeiten schaffen, die Volkswirtschaft mindestens genauso produktiv wie heute oder gar produktiver zu gestalten, um mit weniger Arbeitskräften das gleiche Wohlstandsniveau zu halten. Wir werden älter - es kommen nicht so viele junge Leute nach, die uns ersetzen. Das können wir nur mit effektiverer Technik und der Schlüssel dazu ist Digitalisierung.

Thomas Fischer: Was muss aus politscher Sicht noch getan werden, um schnellstmöglich Anschluss an den Wettbewerb zu finden?

Thomas L. Kemmerich: Ich denke, die Gründerkultur und die Bürokratie sind die große Hindernisse. In Amerika gründet man aus der Garage, in Deutschland auf dem Amt. Aufwendige Antragsverfahren über drei Institutionen mit 18 Seiten umfassenden Formularen sind kein Zeichen, wie ich unlängst in meinem Umfeld sehen konnte. Hier muss Motivation für Gründer durch schnelleres Handeln geschaffen werden. Wir sind für ein bürokratiefreies Jahr, was heißt wer gründen will, soll gründen. Die Abrechnung erfolgt dann nach einem Jahr. Wir wollen eine Kultur schaffen, in welcher die Leute Lust bekommen, ihre eigenen Ideen zu verwirklichen und nicht nur das Heil in der Festanstellung suchen. Der größte Berufswunsch der jungen Generation ist nach wie vor Beamter werden. Das ist eine Katastrophe für ein mittelstandsgeprägtes Land, getrieben von Innovationskraft und Gründertum. Diesen Eigenschaften verdanken wir unseren heutigen Stand der Wirtschaft und es ist ein verheerendes Zeichen, dass die Mehrheit die große Chance des Unternehmertums nicht erkennt bzw. sieht, gerade in der Digitalisierungsphase und der IT-Branche.

Thomas Fischer: Sie haben das Thema Bürokratieabbau erwähnt. Seit 20 Jahren wird auch in der Politik darüber debattiert. Alle reden darüber aber das Gegenteil tritt ein. Es wird gefühlt immer mehr.

Thomas L. Kemmerich: Das ist ein wenig Murphy’s Gesetz. So beispielsweise war die Künstlersozialkasse lange Zeit weg, bis sie eine Behörde als neue Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für sich wieder entdeckt hat. Es darf nicht sein, dass sich eine Verwaltung über Bürokratieaufbau neue Aufgaben sucht, weil sie Angst hat, dass sie irgendwann nichts mehr zu tun hat. So entsteht neue Bürokratie. An dieser Stelle müssen Verwaltungsapparate ausgedünnt werden. Wir sollten eine nachhaltige Aufgabenkritik durchführen und uns fragen, was im Sinne der Leitplanken, der Ordnungspolitik an Bürokratie notwendig ist. Ungezügelte Märkte sind klar nicht machbar, aber es gibt viele unsinnige Dopplungen, Rechtfertigungsbürokratie und einfach Bürokratie damit Bürokratie gemacht wird. Als Beispiel nenne ich hier, die zahlreichen Statistiken, die an vielen Stellen doppelt von Unternehmen ausgefüllt werden müssen. Ist es nicht möglich die Unternehmensdaten in einer zentralen Datenbank zu sammeln, auf welche die jeweiligen Ämter zugreifen können, wenn sie Auskünfte benötigen? Das sollten wir uns fragen und nach dieser Aufgabenkritik bedarf es einer Reorganisation der Verwaltungsapparate. Denn auch hier gibt es schon Stellen, die nicht besetzt werden können und diese Stellen sollten in meinen Augen auch nicht wieder besetzt werden. Die Leute werden in der freien bzw. produktiven Wirtschaft gebraucht und nicht in der Verwaltung. Da arbeiten schon über 8 Mio. Menschen. Für eine Volkswirtschaft ist das langfristig gesehen ineffizient, wenn wir doch in der Kreislaufwirtschaft fast 1 Mio. offene Stellen haben. An anderer Stelle sind wir Deutschen ganz vorne dabei, EU-Richtlinien zu 120% umzusetzen. Während andere Länder entspannt bleiben, machen wir das doppelte oder gar dreifache daraus, wie am Beispiel der Kreditrichtlinien zu sehen. Da muss ein vernünftiges Maß her.

Digitalisierung ist nach wie vor in aller Munde und das große Thema der Stunde. Deutsche IT-Unternehmen und Softwarehersteller bieten bereits umfangreiche Lösungen, Unternehmen und die darin verwurzelten Prozesse digital abzubilden sowie deutlich zu vereinfachen, den Kundennutzen spürbar zu erhöhen sowie die Kommunikation im Unternehmen zu verbessern. Auf der einen Seite stehen Mittel und Wege der Digitalisierung zur Verfügung, auf der anderen Seite sind die Umfragewerte doch sehr ernüchternd. Deutschen Unternehmen wird nachgesagt, sie sind zu langsam, zu unflexibel und in alten Denkweisen verhaftet – Unternehmer wie auch Angestellte.

Christian Fischer: Sind die Unternehmer in Thüringen zu unflexibel oder gar ängstlich vor den Folgen eines digitalen Umbruches?

Thomas L. Kemmerich: Ich glaube es herrscht ein gewisse Unsicherheit bei Thüringer Unternehmern, weil keiner abschätzen kann, was auf ihn zukommt. Teilweise wird es auch übertrieben, jetzt und sofort alles in 4.0 zu machen zu wollen. Eine differenzierte Betrachtung, was macht Sinn und wo liegen die Chancen, ist hier gefragt. Es gibt viele Geschäftsmodelle, die eine Digitalisierung von Nöten haben, aber in der Grundausrichtung immer den direkten Kundenkontakt haben werden. Daher tut positive Aufklärung zum Thema Digitalisierung Not. Und da hilft es wenig eine Vielzahl von Seminaren zu bieten und Vorträge zum Thema Digitalisierung 4.0 abzuhalten, bei denen der High-End-Bereich vorgestellt wird. Auf der einen Seite unterschätzen viele Unternehmen, wie digital sie bereits sind und auf der anderen Seite muss man nicht sofort von 0 auf 100% gehen. Hier bedarf es einer Aufklärung, was für die Unternehmen machbar ist. Deshalb sollten die Schritte kleiner sein und dann, glaube ich, geht auch die Angst bzw. die Unsicherheit vor der Digitalisierung zurück. Der Weg jedenfalls muss beschritten werden.

Thomas Fischer: Wie ist es aus Ihrer Sicht möglich die Gesellschaft für den Wandel zu öffnen? Was macht die Politik auf Bundes- und Landesebene?

Thomas L. Kemmerich: In meinen Augen zu wenig. Ich meine wir alle tragen Smartphones und leben in einer digitalen Welt, aber auch hier werden mehr die Gefahren gesehen und in den Vordergrund gestellt als die Chancen. Klar, und das ist sehr wichtig, brauchen wir eine Datensicherheit. Wir brauchen eine Verlässlichkeit, was passiert eigentlich mit meinen Daten, das heißt, das Recht auf informelle Selbstbestimmung muss gewahrt werden. Da braucht es keine unsinnigen Löschaktionen oder ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz, wie kürzlich von unseren Justizminister durchgebracht. Es bedarf vernünftiger Regelungen, zum Beispiel, wie gehen wir mit WLAN-Netzen um. Es ist juristisch zu klären, wenn man will. In diesen Bereichen sollten wir einheitliche Standards setzen – da sind uns die Amerikaner leider weit voraus. Das hat am Ende auch dazu geführt das softwarebasierte Großkonzerne, die in der EU, in Deutschland angesiedelt waren, wie Amazon, Google oder Uber um einige zu nennen, nach Amerika zurückgegangen sind. Hier haben wir auf Grund zurückhaltender Gesetzeslagen und Verballhornung dieser Geschäftsmodelle die Zeit verschlafen. Ein aktuelles und typisches Beispiel zeigt wie unsinnig zum Teil gehandelt wird. Airbnb wächst überdurchschnittlich und die Stadt Berlin verbietet das Vermieten von privaten Wohnungen. Es wird also gegen Airbnb gekämpft mit der Folge, dass die Leute nach Paris, London oder Moskau fliegen. Und schon haben wir das nächste Problem.

Christian Fischer: Wie können ortsansässige Unternehmen dazu beitragen, die neuen Möglichkeiten in die Gesellschaft zu tragen?

Thomas L. Kemmerich: Das ist eine Frage der Vorreiterrolle. Unternehmen wie TecArt können diese Rolle einnehmen und als Vorbild vorleben, welche Chancen hinter einer solchen Technologie stehen. Dann wird auch in der Gesellschaft ein Konsens entstehen, dass wir gemeinsam voran gehen. Wenn man auf die Straßen schaut, trägt jeder Jugendliche ein Smartphone mit sich. Und da sieht man wieder den Schwachpunkt unseres gesellschaftlichen Anspruchs. In der Schulbildung wird die aktuelle und zukünftige Entwicklung nach wie vor ausgeblendet. Digital ist dort nur die Pause. Die Ausstattung in den Schulen ist nicht mehr zeitgemäß, Lehrmittel werden nicht digital zur Verfügung gestellt und die Lehrer sind überfordert, weil sie nicht entsprechend auf die neuen Medien fortgebildet werden. Die Richtung gibt hier die junge Generation vor. Das sind gesellschaftliche Brüche, bei denen wir einfach schneller handeln müssen.   thomas-kemmerich-im-interview Thomas L. Kemmerich, Landesvorsitzender der FDP Thüringen, im Gespräch mit Thomas und Christian Fischer

Wenn es nach Sigmar Gabriels Digital Agenda 2025 geht, sollen vor allem junge innovative Unternehmen, sprich Startups mit Wagniskapital ausgestattet werden. Allerdings basieren viele dieser Ideen auf einer Plattformökonomie. Schaut man sich die prominenten Vorzeigebeispiele Uber, Airbnb und Spotify an, entstehen allerdings rein virtuelle Produkte.

Quelle: Sigmar Gabriels Digital Agenda 2025

Christian Fischer: Kommt bei all dem Digitalisierungsaktionismus nicht der traditionelle Mittelstand im produzierenden und Dienstleistungsgewerbe zu kurz?

Thomas L. Kemmerich: Ja absolut, wobei ich sagen muss, dass es keine klare Konzentration auf einen Bereich gibt. Dem klassischen Mittelstand, dem Dienstleistungs- und produzierenden Gewerbe müssen wir an anderer Stelle helfen. Diesem müssen wir Wege zur Digitalisierung öffnen und aufzeigen an welcher Stelle sie sinnvoll ist. Zudem brauchen wir einen klaren Bürokratieabbau. Die mittelständischen Unternehmer dürfen nicht mehr mit Bürokratie geknebelt werden. Wir müssen sie stark machen, damit sich die Marktchancen auch im internationalen Wettbewerb erhöhen. Es gab mal die Diskussion Apotheken versus Versandapotheken. In Deutschland war das schwer möglich. Plötzlich stießen niederländische Anbieter mit anderen Mehrwertsteuersätzen in deutschen Markt und machten dem deutschen Apothekenhandel eine aus ordnungspolitischer Sicht nicht nachvollziehbare Konkurrenz. Die Verwaltungsbereiche in den Unternehmen wachsen. Das Kerngeschäft, gerade unter Betrachtung der Ressource Zeit, wird durch das Ausfüllen und Ablegen von Formularblättern in analogen Aktenordnern, die sich über die Jahre keiner mehr anschaut, negativ beeinflusst. Da müssen wir ran.

Alle schauen beim Thema Digitalisierung nach Silicon Valley USA und seinem schier unerschöpflichen Potenzial an Investoren, Die meisten Produkte von dort werden hier gehyped und fluten den deutschen Markt. Viele Investitionsgelder im IT-Bereich fließen nach Übersee, Deutsche IT-Unternehmen und Softwarehersteller bieten gleiche und gar besser Leistungen/Lösungen an, sind aber bei Weitem nicht so bekannt und gehyped. Zudem bleiben Unternehmensdaten im Normalfall in Deutschland – Stichworte Datenschutz/-sicherheit/Wirtschaftsspionage

Thomas Fischer: Wie schätzen Sie den Einfluss von US Konzernen auf den deutschen Markt ein?

Thomas L. Kemmerich: Viel zu dominant. Die Marktführer sind angloamerikanisch getrieben, ausgestattet und gepusht mit enormem Börsenkapital. Da wird es für den deutschen Mittelstand schwer Schritt zu halten. Im IT-Anwenderbereich kommen wir langsam auf den Weg, den Amerikanern zu folgen. SAP ist einer der Global Player und in naher Zukunft vielleicht auch TecArt – technisch gesehen. Ansonsten kommen alle großen Ideen derzeit aus Amerika. Das ist ein großer Nachteil, der sich unter anderem in den genannten Regulierungen begründet. Zudem bietet der amerikanische Markt ganz andere Möglichkeiten wie zum Beispiel Zugänge zu den Universitäten, die sich in die Wirtschaft bewegen. Das hat sich bewährt. Wir bauen teilweise Arten von Sillicon Valleys, aber Nachhaltigkeit und Identifikation findet kaum statt.

Thomas Fischer: Ist es möglich, dass sich die Regierung noch stärker für die Entwicklung der deutschen IT-Branche stark macht?

Thomas L. Kemmerich: Selbstverständlich. Das ist ein klarer Auftrag an die Politik. Hier müssen feste Rahmenbedingungen geschaffen werden. Venture Capital zur Weiterentwickung bspw., ist in Deutschland nicht privilegiert sondern eher schlecht angesehen, weil es Kapital ist, mit denen Investoren Geld verdienen wollen. So gehen die Kapitalströme in andere Länder. Da müssen wir im internationalen Wettbewerb mehr als stark sein. Es ist viel Geld auf der Welt im Umlauf aber in Deutschland investiert, ist es weniger attraktiv. Es fließt dahin, wo die großen Ideen entstehen und wir sind am Ende immer nur zweiter Sieger, wenn überhaupt.

Christian Fischer: Was kann seitens der Regierung getan werden, damit auch mittelständische Unternehmen solch ein Investitionsgeist entwickeln? Ist ein solches Vorhaben nur auf Bundesebene möglich oder lässt sich das auch auf Landesebene etablieren? – Stichwort Steuerliche Anreize für FuE-Aufwendungen

Thomas L. Kemmerich: Die müssen klar und steuerlich komplett geltend gemacht werden können. Venture Capital muss als Wagniskapital steuerlich anrechenbar sein. Verluste muss man nicht nur in den Einkunftsarten saldieren können sondern müssen Investoren, die investierte Summe steuerlich anrechnen können. Die Zugänge zu Fonds und deren Sammelstellen dürfen in Deutschland nicht unter die Haftregulierung der EU gestellt werden, das muss man anders fassen. Die Möglichkeit besteht und dabei geht es nicht um das Züchten einer Blase. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir uns diverse Regulierungen von den Wettbewerbern im Markt, vor allem aus den USA, vorschreiben lassen. Hier handelt die EU teilweise zu nachlässig und mit zu wenig Weitblick. In den geforderten Regulierungen wird übersehen, dass sie nicht dazu dienen, Blasen zu verhindern sondern vielmehr Wettbewerbssituationen schaffen, die nachteilig für die Europäer und damit auch für die Deutschen sind.